Yale-Professor zu Gast am THG

Der „Erdball-Star“ Professor Dr. Thomas Pogge von der Yale-Universität referierte am Tag der Menschenrechte und der Verleihung des Friedensnobelpreises am THG: „Menschenrechte und mehr globale Gerechtigkeit für eine friedliche Weltinnenpolitik“

Prof. Thomas Pogge (4.v.l.) mit Schülerinnen und Schülern und Lehrer Klaudius Gansczyk, dem Organisator der Zukunftsveranstaltungen am THG

Thomas Pogge geht scharf mit den Reichen und Mächtigen dieser Erde ins Gericht. Sie verantworten die Zustände, die Milliarden Menschen in Hunger und Elend halten. Die Wohlhabenden genießen ihren Wohlstand auf Kosten der Habenichtse. Die täglich vieltausendfach todbringende Armut, sagt der Philosoph, der an der renommierten Yale-Universität in den USA lehrt, ist überwindbar, und er klagt an.

Sein Publikum lauscht gebannt. Pogge spricht in der Aula des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Hagen. Vor ihm waren andere namhafte Redner dort, darunter Franz Josef Radermacher, Hartmut Graßl, Johan Galtung, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Hans-Peter Dürr, Sigmar Gabriel, Horst-Eberhard Richter und Ulrich Bartosch. Die Hagener Schule pflegt seit 1998 die Zukunftsveranstaltungsreihe zum Globalen Lernen. Querdenken, Horizonte erweitern und über den Tellerrand schauen gehören dort quasi zum Lernstoff.

In diesem Jahr also Thomas Pogge. „Die bestehenden Regeln der Weltwirtschaft sind massiv menschenrechtswidrig und deshalb extrem ungerecht“, lautet ein Kernsatz, den er mit erschütternden Zahlen untermauert. Von rund 7,2 Milliarden Menschen heute sind etwa 805 Millionen unterernährt, 2000 Millionen ohne Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten, 748 Millionen ohne sicheres Trinkwasser, 1000 Millionen obdachlos, 1200 Millionen ohne elektrischen Strom, 1800 Millionen ohne sanitäre Einrichtungen, 907 Millionen Erwachsene Analphabeten, 168 Millionen Kinder verrichten Lohnarbeit außerhalb ihres Haushalts, oft unter sklavereiähnlichen Bedingungen: als Soldaten, Prostituierte, Hausangestellte, Landarbeiter, Bauarbeiter, Fabrikarbeiter oder Teppichknüpfer.

Mindestens ein Drittel aller Todesfälle im Jahr, nämlich 18 von 58 Millionen im Jahr, also 50.000 pro Tag, seien eindeutig armutsbedingt. Sie wären durch bessere Ernährung, sauberes Trinkwasser, Rehydrierungspräparate, Bettnetze, Impfungen und andere Medikamente mit geringem Kostenaufwand vermeidbar. Pogge nennt die Ursachen laut Weltgesundheitsorganisation und beziffert präzise: Durchfall (2.163.000) und Unterernährung (487.000), Tod von Mutter (527.000) oder Kind (3.180.000) bei der Geburt, Kinderkrankheiten wie Masern (847000), Tuberkulose (1.464.000), Meningitis (340.000), Hepatitis (159.000), Malaria (889.000) und andere Tropenkrankheiten (152.000), Atemweginfektionen (4.259.000), HIV/AIDS (2.040.000), Geschlechtskrankheiten (128.000).

423 Millionen Todesopfer habe die Armut in der Welt seit dem Ende des Kalten Krieges gefordert, rechnet Pogge, das seien doppelt so viele wie in allen großen Kriegen und Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts zusammen. „Die Friedensdividende“, die nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation zu erwarten war, „wurde nicht für die Armutsbeseitigung eingesetzt.“ Pogge stellt zum Ausmaß der Not einen historischen Tiefpunkt fest: „Nie vorher gab es so viel vermeidbare Armut.“

 

 

 

Der Reichtum ist die Kehrseite der gleichen Medaille. Der Philosoph präsentiert Einkommens- und Vermögensstatistiken, die das krasse Verteilungsunrecht veranschaulichen. Das reichste Viertel der Weltbevölkerung verfügt über 90 Prozent, die ärmsten drei Viertel teilen sich die restlichen zehn Prozent. Oder: „Die 65 reichsten Menschen der Erde haben zusammen so viel Vermögen wie die 3,6 Milliarden ärmsten.“ In nur zwanzig Jahren haben die reichsten fünf Prozent der Menschheit etwa soviel Einkommen hinzugewonnen wie die ärmere Hälfte am Ende dieser Periode übrig hatte. Das Verhältnis der Durchschnittseinkommen der reichsten fünf Prozent und des ärmsten Fünftels der Menschheit stieg in der Zeit von 1988 bis 2008 von 202:1 auf 297:1.

Pogge: Wären die 2,9 Prozent des globalen Haushaltseinkommens, die in Wirklichkeit die reichsten fünf Prozent hinzugewonnen haben, stattdessen der ärmeren Hälfte zugefallen, dann hätte sich deren Anteil von 3,5 auf 6,4 Prozent fast verdoppelt und die Weltarmut hätte schon 2008 beseitigt sein können.

In Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 heißt es: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der für seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden ausreichend ist, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen.” Dies sei, sagt Pogge, das am wenigsten verwirklichte Menschenrecht. Und er formuliert: „Unter den bestehenden Weltwirtschaftsregeln sind die Menschenrechte der meisten Menschen vorhersehbarerweise nicht erfüllt.“ Mit alternativen Regeln aber wäre „ein Großteil dieses Menschenrechtsdefizits plausibel vermeidbar“.

Die Weltwirtschaftsordnung sei „extrem menschenrechtsfeindlich“, die Reichen und Einflussreichen setzten die Regeln zu ihren eigenen Gunsten und damit eine Ungleichheitsspirale in Gang. Pogge zeigt die Bedeutung des Lobbyismus am Beispiel der USA auf, nennt Beispiele dafür, wie Konzerne die Politik lenken und weist darauf hin, dass die Lobby auf der bedeutsamer werdenden internationalen Ebene noch wesentlich leichteres Spiel habe: Dort fehlen demokratische Strukturen und Transparenz, dort setze man sich auch über moralische Bedenken noch leichter hinweg.

Das Finanzsystem, der Protektionismus, der Klimawandel und die Patente auf Medikamente sind nach Pogge die Faktoren, die den ärmsten am meisten zu schaffen machen. Hinzu kommen Bürgerkriege, Korruption und Waffenhandel sowie ein ausbeuterisches Arbeitsrecht.

Autorin: Petra Kappe

http://www.blog-der-republik.de/nie-zuvor-gab-es-so-viel-vermeidbare-armut-auf-der-welt-die-reichen-bestimmen-die-regeln/